Return to site

17.05.2019 Impulsvortrag zum Thema Solidarität @Friends of Social Business Forum Wiesbaden

DIE KRAFT DER SOLIDARITÄT

broken image

10 minütiger Impulsvortrag zum Thema Solidarität bei https://www.friendsofsocialbusiness.com/

Solidarität - eine philosophische Reflexion

Die Veranstaltung steht unter dem Motto "Die Kraft der Solidarität."
Wenn wir aber über einen Begriff oder ein Konzept sprechen, ist es ratsam sich zu überlegen, was wir darunter verstehen.
Der Begriff der Solidarität scheint uns vielleicht veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Wir denken an den „Soli“ oder das kommunistische Manifest.
Das Konzept der Solidarität steht aber für eine große Idee: Das Füreinander einstehen.
Es ist so alt wie die Menschheit an sich.
Die Frage, wer für wen warum einsteht, hat sich über die Zeit allerdings gewandelt.
Zu Beginn war es der Familienclan, der aufeinander Acht gab und sich vor Bedrohungen schützte.
Das Konzept hat sich im alten Griechenland von der Familie auf „Freie Bürger“ des platonischen Staates ausgeweitet. Freie Bürger waren allerdings nur männliche Mitglieder der Oberschicht.
Das Grundprinzip der Solidarität kennen wir jedoch am meisten aus der Zeit der Arbeiterbewegung.
Hier entstand die Formel der Solidarität als wechselseitige Hilfe.
Das lässt sich an einem einfachen Beispiel erklären:
Wenn im Betrieb jemand ein schlechtes Wochenende hatte und am Montag nicht richtig reinkommt, hilft man ihm und übernimmt einen Teil seiner Arbeit. Ohne viele Worte, man macht es einfach.
Man tritt füreinander ein, damit die Dinge wieder laufen. Fertig.
Das ist Solidarität. Wenn ich dann mal einen schlechten Tag habe, erhoffe mir das natürlich auch.
Bestehen darauf kann ich nicht. Wichtig ist, nicht aufzurechnen und viele Worte darum zu machen.
Wenn ich das doch mache, bin ich eine Vorwurfspersönlichkeit. Das ist das Gegenteil von solidarisch.
Wichtig ist auch, dass ich die Person, die Hilfe braucht nicht, als Bettler betrachte, der nach Almosen fragt.
Oder nach Gerechtigkeit rufe, im Sinne von „Es ist doch nicht gerecht, dass ich jetzt einspringen muss“.


Solidarität ist nicht gleich Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit fragt: Was steht Dir zu.
Solidarität fragt: Was brauchst Du gerade?

Uns fallen vielleicht Beispiele ein, in denen Personen, „gerechte“ (oft staatliche) Hilfe empfangen, diese aber eher als eine „Verliererabfindung“ wahrnehmen.
Für Solidarität müssen wir uns nicht mögen, wir können einander fremd und trotzdem füreinander da sein. Wir müssen uns nur einig sein, was das Ziel ist.


Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel, haben sich Menschen für den Wiederaufbau verpflichtet, die zuvor Feinde waren. Man hat zusammengehalten, hatte ein Ziel vor Augen und konnte sich aufeinander verlassen.

Solidarität hat auch etwas mit Dankbarkeit zu tun. Dafür, dass wir ohne andere Menschen – mit denen wir auch durchaus nur anonym verbunden sein können – nicht so leben könnten, wie wir es möchten.
Eine Solidarität als Kollektivgedanken gibt es in diesem Sinne so heute nicht mehr.
Die letzten 40 Jahre haben wir nicht im Wir-Gefühl, sondern vielmehr in Ich-Ags und mit Selbstoptimierung verbracht.
Wir gehen heute davon aus, dass jeder selbst für sein Schicksal verantwortlich ist.
Dass der Arbeitslose vielleicht nicht genug geleistet hat und damit selbst schuld an seiner Situation ist.
Wir kennen alle die Aussagen „Ich habe doch genug zu tun mit meinem eigenen Leben. Wo komme ich denn hin, wenn ich allen helfe?“
Zu was das führt sehen wir an Burn-Outs und steigender Ungleichheit.
Wir sind mittlerweile aber an einem Punkt angelangt, an dem wir das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass alles zu viel ist.
Bei den Menschen entsteht ein Grundbedürfnis nach Schutz und auch nach Sinnhaftigkeit im eigenen Tun.
Und hin und wieder entsteht auch die Vermutung, dass die freie Marktwirtschaft vielleicht doch nicht für alles Lösungen hat oder zumindest nicht die optimalen Lösungen
- und somit kontinuierlich Gewinner und Verlierer kreiert.
Wie kommen wir aber weg von dieser „Selber schuld“-Mentalität, die im Höchstfall spendet aufgrund von schlechtem Gewissen – und hin zu einer echten Solidarität?

Einfache Antworten auf die Frage sehen wir in Phänomen wie Trump oder der AFD.

Wie schaffen wir es aber in einer Welt, die aus vielen unterschiedlichen Individuen besteht, ein wirkliches Netz der Solidarität zu spannen?

Eine Antwortmöglichkeit darauf bietet der Existenzphilosoph Albert Camus.
Er hat sich damit auseinandergesetzt, wie wir in einer Welt ohne einfache Antworten und religiösen Versprechungen leben und handeln können.
In einer Welt, in der Sinn nicht von oben oder von außen gegeben wird, existiert nur eine philosophische Frage: „Wie begegne ich den Ungerechtigkeiten der Welt.“
Entweder mit dem „philosophischen Sprung“: Physisch von der Klippe oder eskapistisch vor den Fernseher?
Oder entscheide ich mich ganz bewusst für das Leben und die Existenz?
In diesem Straucheln sieht uns Camus wie Sisyphus – haben wir doch alle unser Päckchen zu tragen.
Die Metapher ist übertragbar auf den heutigen Zustand der „Ichlinge“, die nur für sich selbst und in Konkurrenz kämpfen. Denen aber doch so langsam alles zu viel wird und die unter ständiger Existenzangst leiden.
Wenn wir andere ansehen, mit dem Wissen, dass es ihnen ähnlich geht wie uns selbst – entsteht die Chance für solidarisches Handeln, das uns als unterschiedliche Einzelwesen bestehen lässt.
Das ist Mitgefühl und Empathie auf Augenhöhe.
In einer freien Welt, können wir niemanden dazu zwingen, solidarisch zu sein. Aber wir können versuchen zu vermitteln, dass es nicht nur uns als Gemeinschaft, sondern jedem einzelnen besser damit gehen würde.
Evolutionstheoretisch ist es mittlerweile unumstritten, dass es ein dem Menschen intrinsisches Bedürfnis ist zu kooperieren.
Wenn wir das nun Gesamtgesellschaftlich betrachten, wird schnell klar, dass wir uns nicht mehr nur im kleinen Kreis umschauen können.
Wir sind mittlerweile global vernetzt, sehen und hören von Klimawandel, Finanzkrise, aufkommendem Nationalismus und den direkten Auswirkungen unserer Handlungen.
Diese und andere globalen Herausforderungen können wir nur gemeinsam lösen.
Als Wegweiser hat die internationale Staatengemeinschaft die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung aufgesetzt.
Was aber kann nun unser ganz konkreter Beitrag dazu sein?
Es ist an uns allen, ein System zu schaffen, dass einen Nährboden für Kooperationen und gesellschaftlichen Mehrwert bietet. Und nicht nur für den Profit von Einzelunternehmen.
Eine Gesellschaft zu schaffen, in der wir den Sinn unseres Handelns und unserer Existenz spüren.
Ein System, in dem wir in unserer Unterschiedlichkeit koexistieren können und trotzdem füreinander einstehen.
Der Soziologe Beck nennt das die „kosmopolitische Empathie“.
Das ist die Fähigkeit, die es Kosmopoliten – wie wir sie heute sind – erlaubt, sich in andere einzufühlen und gleichzeitig ihre Andersartigkeit zu akzeptieren.
Warum wir das tun sollten? Ganz einfach, weil es die Welt ist, in der wir leben wollen. Und, weil es uns allen damit besser geht.

Es gibt schon so viele gute Beispiele: Projekte, Social Businesses, Genossenschaften und Organisationen, die die Karten neu mischen.
Ihre Geschichten gilt es zu erzählen.
In diesem Raum sind heute so viele Menschen mit dem Potenzial, wirklich etwas zu bewegen. Lasst uns die Zeit einfach nutzen und damit anfangen.

Danke.

Daniela Mahr 2019

broken image
broken image
broken image